Erklärung von Gewerkschaftern:
Griechenland nach der Wahl − Keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa
03. Februar 2015
Der politische Erdrutsch in Griechenland ist eine Chance nicht nur für dieses krisengeschüttelte Land, sondern auch dafür, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und zu korrigieren.
Wir unterstreichen erneut die von Seiten der Gewerkschaften in den zurückliegenden Jahren vielfach geäußerte Kritik: Die entscheidenden Bedingungen, unter denen die finanziellen Hilfen für Griechenland gewährt werden, hatten von Anfang an nicht die Bezeichnung »Reform« verdient. Die Milliarden, die nach Griechenland geflossen sind, wurden vor allem für die Stabilisierung des Finanzsektors verwendet. Gleichzeitig wurde das Land mit einer brutalen Kürzungspolitik in die tiefste Rezession und damit zugleich in die höchste Staatsverschuldung der gesamten EU getrieben. Die Folge ist eine soziale und humanitäre Krise ohne Beispiel in Europa: Ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut, soziale Absicherungen wurden massiv geschwächt, der Mindestlohn um 22% gesenkt, das Tarifvertragssystem und andere Schutzrechte für noch Beschäftigte demontiert, und ausgerechnet die unteren Einkommensgruppen wurden zusätzlich steuerlich belastet. Die Arbeitslosigkeit liegt jetzt bei 27%, unter Jugendlichen sogar bei über 50%. Vielen Menschen fehlen ausreichende Mittel für Nahrung, Strom, Heizung und Wohnung. Ein großer Teil der Bevölkerung hat keine Krankenversicherung mehr und bekommt nur noch in Notfällen Zugang zu ärztlicher Versorgung. Das Wahlergebnis ist ein vernichtendes Urteil über diese verfehlte Politik.
Mit Reformen, die an den tatsächlichen Problemen Griechenlands ansetzen, hatte all dies nichts zu tun. Keines der strukturellen Probleme des Landes wurde gelöst, es wurden aber zusätzliche geschaffen. Es war eine Politik des Abbaus, nicht des Aufbaus. Wirkliche Strukturreformen, die diesen Namen verdienen, bahnen Wege zu neuen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten des Landes, anstatt eine hochqualifizierte junge Generation ins Ausland zu vertreiben. Wirkliche Strukturreformen machen ernst mit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht. Wirkliche Strukturreformen bekämpfen Klientelpolitik und Korruption bei öffentlichen Aufträgen. Die neue griechische Regierung ist herausgefordert, ihre eigenen Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte vorzulegen, die Teil eines »Europäischen Investitionsplanes« werden müssen, wie er seit langem von den Gewerkschaften gefordert wird, und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass derartige Projekte Früchte tragen können.
Mit der neuen griechischen Regierung muss ernsthaft und ohne Erpressungsversuche verhandelt werden, um dem Land eine wirtschaftliche und soziale Perspektive jenseits der gescheiterten Austeritätspolitik zu eröffnen. Dies gilt insbesondere für die mit der bisherigen, jetzt abgewählten Regierung vereinbarten zerstörerischen Auflagen, unter denen die internationalen Kredite bislang gewährt wurden. Europa darf nicht auf der Fortsetzung einer Politik zu Lasten der Bevölkerung beharren, die von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler unmissverständlich abgelehnt wird. Ein »Weiter so« darf es nicht geben!
Die Abwahl der für die bisherige Politik in Griechenland Verantwortlichen ist eine demokratische Entscheidung, die auf europäischer Ebene respektiert werden muss. Die neue Regierung braucht eine faire Chance. Wer jetzt die Fortsetzung des bisherigen, so genannten Reformkurses verlangt, spricht faktisch der griechischen Bevölkerung das Recht auf eine demokratisch legitimierte Neuorientierung der Politik in ihrem Land ab. Und wenn hinzugefügt wird, eine solche Neuorientierung sei allenfalls möglich, wenn Griechenland aus der Europäischen Währungsunion ausscheide, werden die europäischen Institutionen für unvereinbar mit demokratischen Entscheidungen in den Mitgliedsländern erklärt. So erhalten die erstarkenden nationalistischen Strömungen in Europa zusätzlichen Rückenwind.
Die vielfach beklagten, doch immer noch nicht überwundenen demokratischen Legitimationsdefizite auf europäischer Ebene dürfen nicht zusätzlich durch die Einschränkung der Demokratie in den Mitgliedsländern zementiert werden. Vielmehr muss, wie viele von uns 2012 in dem Aufruf »Europa neu begründen« hervorgehoben haben, die Demokratie auf EU-Ebene gestärkt werden, wenn dem europäischen Projekt neue Glaubwürdigkeit gegeben werden soll. Das europäische Projekt wird nicht durch Spardiktate gestärkt, sondern nur durch die demokratische Initiative von unten für wirtschaftlichen Wiederaufbau und mehr soziale Gerechtigkeit.
Diese Initiative muss jetzt im Interesse der Menschen in Griechenland unterstützt werden. Sie gibt zugleich neue Anstöße für einen politischen Kurswechsel in Europa. Der politische Umbruch in Griechenland muss zu einer Chance für ein demokratisches und soziales Europa gemacht werden!
Erstunterzeichnende:
Reiner Hoffmann, DGB
Frank Bsirske, ver.di
Robert Feiger, IG BAU
Alexander Kirchner, EVG
Michaela Rosenberger, NGG
Marlis Tepe, GEW
Michael Vassiliadis, IG BCE
Detlef Wetzel, IG Metall
www.europa-neu-begruenden.de
DGB fordert Politikwechsel in Europa
Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann begrüßt das klare Wahlergebnis in Griechenland. Dieses Ergebnis sei vor allem eine Ansage für Europa. "Es muss endlich Schluss sein mit einer Sparpolitik, die vor allem auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird, und in Griechenland wie in anderen Ländern zu skandalösen Lebensverhältnissen geführt hat. 800.000 Menschen in Griechenland haben keine Krankenversicherung, über 50 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos, Sozialleistungen wurden dramatisch gesenkt - aber die Verursacher der Krise werden nicht zur Verantwortung gezogen", sagte Hoffmann. "Der politische Kurswechsel der EU muss jetzt eingeleitet werden, in Griechenland und in allen anderen Krisenländern - weg von Spardiktaten, hin zu Investitionen. Ich erwarte, dass die deutsche Bundesregierung dieses demokratische Wahlergebnis respektiert und Syriza unterstützt, statt wieder wilde Spekulationen zum Euro zu führen.
www.dgb.de
Warum Syriza keine Krawatten trägt?
Damit
Merkel sie nicht daran packen kann, beantwortet die französische
Zeitung „L'Echo“ diese Frage ironisch und zielt klar auf die Macht der
deutschen Bundeskanzlerin ab. Die Zeichnung kritisiert den großen
Einfluss Deutschlands in der EU-Sparpolitik. Griechenlands
Finanzminister Yanis Varoufakis und Regierungschef Alexis Tsipras
stehlen sich links im Bild an der Kanzlerin vorbei und bilden ohne
Krawatte kein Angriffsziel für die Kanzlerin.
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