CDU, CSU und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf
verständigt, den „Grundsatz der Tarifeinheit“ per Gesetz
festzuschreiben. Was so harmlos daherkommt, ist in Wirklichkeit eine
Beschneidung von Grundrechten der Arbeitnehmer. Wir fordern die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, kein Gesetz zur
beschließen, das in die Gewerkschaftsfreiheit eingreift und das
Streikrecht von Hunderttausenden von Arbeitnehmern in Berufs- und
Fachgewerkschaften aushebelt.
Unter der Überschrift „Tarifeinheit gesetzlich regeln“ heißt
es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD wörtlich:
„Um den bestehenden Koalitions- und Tarifpluralismus in
geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit
nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der
Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich
festschreiben. Durch flankierende Verfahrensregelungen wird
verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung getragen.“
Dahinter verbirgt sich die Forderung der Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) – unterstützt durch die
Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) – nach einem Gesetz
zur Degradierung von Berufs- und Spartengewerkschaften. Schon im Juni
2010 präsentierten BDA und DGB gemeinsam eine gesetzliche Regelung
zur Festschreibung der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip. Danach
soll in einem Betrieb nur noch derjenige Tarifvertrag zur Anwendung
kommen, an den die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder in diesem
Betrieb gebunden ist. Die zahlenmäßig unterlegene Gewerkschaft
würde durch eine solche Erzwingung der Tarifeinheit faktisch ihrer
tarifpolitischen Eigenständigkeit beraubt. Darüber hinaus soll sich
die Friedenspflicht für die Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrages
auch auf Tarifverträge der kleineren Gewerkschaft erstrecken. Damit
würden vor allem Mitglieder von selbstbewussten Berufs- und
Spartengewerkschaften, die meist nur einen bestimmten Teil der
Belegschaft vertreten, einer uneingeschränkten Friedenspflicht
unterworfen.
Sollte eine solche Regelung Gesetz werden, hätten die
Unternehmerverbände ihr erklärtes Ziel erreicht, „durch die
Hintertür“, nämlich über eine Änderung des
Tarifvertragsgesetzes, erstmalig im bundesdeutschen Recht ein
Streikverbot zu verankern.
Begründung:
In den zurückliegenden drei Jahren sind die Forderungen nach
einer gesetzlich verordneten Tarifeinheit regelmäßig ins Leere
gelaufen. Zu groß waren die verfassungsrechtlichen Bedenken. So hat
das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil zur Anerkennung der
Tarifpluralität vom 7. Juli 2010 (4 AZR 537/08) keinen Zweifel daran
gelassen, dass die Verdrängung eines Tarifvertrages nach dem
Grundsatz der Tarifeinheit mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit
aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist.
Koalitionsfreiheit bedeutet: Arbeitnehmer können sich ihre
Gewerkschaft frei aussuchen und die von ihnen beauftragten
Gewerkschaften können – sofern sie tarifmächtig sind –
Tarifverträge aushandeln. Das Recht, Gewerkschaften zu gründen,
gilt „für jedermann und für alle Berufe“ (Art. 9 Abs. 3
Grundgesetz). Dazu gehört auch das Recht zum Streik in
Tarifauseinandersetzungen – unabhängig davon, ob für
Tarifverträge anderer Gewerkschaften im gleichen Betrieb eine
Friedenspflicht gilt. Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik
wären nicht mehr als "kollektives Betteln“
(Bundesarbeitsgericht 1984).
Die Folgen einer verordneten Tarifeinheit hat das BAG in seinem
Urteil vom 7. Juli 2010 sehr klar beschrieben: Die
Verhandlungsposition der betroffenen Gewerkschaft werde ebenso
geschwächt wie ihre Attraktivität, Mitglieder zu werben oder zu
erhalten. Mit anderen Worten: Eine Gewerkschaft, deren Tarifverträge
durch den Zwang zur Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip entwertet
werden und die sich dem Tarifdiktat einer zahlenmäßig größeren
Gewerkschaft im Betrieb beugen muss, verliert an Akzeptanz,
Attraktivität und Bedeutung - und ist damit in ihrer Existenz
bedroht. In ihren Auswirkungen würde eine solche Regelung nur noch
durch ein Verbot unliebsamer Gewerkschaften übertroffen.
Die Behauptung ist einfach unwahr, eine gesetzliche Regelung der
Tarifeinheit sei notwendig, „um den bestehenden Koalitions- und
Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken“
(Koalitionsvertrag). Tarifpluralismus ist der grundgesetzlich
vorgesehene Normalfall und seit Jahren gelebte Realität in der
Bundesrepublik Deutschland. So verhandelt beispielsweise der
Marburger Bund mit Krankenhausträgern Tarifverträge für die
angestellten Ärztinnen und Ärzte und die Vereinigung Cockpit mit
Fluggesellschaften Tarifverträge für die Piloten.
Nicht die Berufs- und Fachgewerkschaften sind verantwortlich für
die von den Unternehmerverbänden beklagte „Zersplitterung der
Tariflandschaft“, sondern die Arbeitgeber selbst. Durch die von den
Arbeitgebern aktiv betriebene Zersetzung der Flächentarifverträge
zu Gunsten von Verbands- und Haustarifverträgen, die mittlerweile
fast 50 Prozent aller gültigen Tarifverträge ausmachen, haben sie
selbst zu der Zerklüftung beigetragen, die sie nun so wortreich
beklagen. Nach Angaben des BMAS-Tarifregisters (Stand: 31.12.2012)
haben 10.116 Unternehmen Firmen-Tarifverträge abgeschlossen, im Jahr
1990 lag deren Anzahl noch bei rund 2.550.
Mit einem Gesetz zur Festschreibung der Tarifeinheit würden sich
die Koalitionsparteien auch ins eigene Fleisch schneiden. Man kann
nicht auf der einen Seite im Koalitionsvertrag eine
„Fachkräfteoffensive“ ankündigen und auf der anderen Seite
fachspezifischen Gewerkschaften jeden tarifpolitischen
Handlungsspielraum nehmen.
Die Gewerkschaftsfreiheit gilt ausnahmslos für alle Arbeitnehmer
in diesem Land. Tarifautonomie und Streikrecht sind unteilbar und
keine Privilegien, die nach Gutdünken der Unternehmerverbände
verliehen werden!
Deshalb fordern wir die Koalitionsparteien im Deutschen Bundestag
auf, kein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Tarifeinheit im
Betrieb erzwingt und damit die freie gewerkschaftliche Betätigung
faktisch außer Kraft setzt!
Im Namen aller Unterzeichner/innen.
Berlin, 28.11.2013 (aktiv bis 27.05.2014)
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