Solidaritätskreis 07 November
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„Wir wollten unsere Kölner Kollegen warnen. Jeden Tag kann es
passieren, dass die da oben weitere Stellenstreichungen und ganze
Werksschließungen verabschieden.“ (Zitat eines Genker Kollegen im Express, 8.11.12)
Am 7. November protestierten 250 Beschäftigte und Gewerkschafter aus
dem belgischen Genk vor der Ford-Europazentrale in Köln gegen die
geplante Schließung ihres Werks.
Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungsverfahren gegen 15
belgische Ford-Arbeiter und einen solidarischen Kollegen aus Köln
eingeleitet. Der Vorwurf lautet auf “Rädelsführerschaft” in einem
“besonders schweren Fall von Landfriedensbruch”. Die Strafandrohung
darauf lautet auf Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.
Was war passiert?
Zwei Wochen zuvor, am 24. Oktober, hatte der US-Autobauer Ford
angekündigt, den Produktionsstandort Genk mit 4300 Beschäftigten bis
Ende 2014 zu schließen. Rechnet man alle Arbeitsplätze zusammen, die vom
Genker Werk abhängen, kommt man auf etwa 10.000. Die Werksschließung
bedeutet also das wirtschaftliche Ausbluten einer ganzen Region in
Belgien.
Als Ford-Beschäftigte aus Köln von der Werksschließung und den
beginnenden Protesten ihrer Genker Kollegen erfahren haben, wandten sie
sich an ihren Betriebsrat mit dem Vorschlag, die Kollegen zu
unterstützen. Die lapidare Antwort der IG-Metall-Funktionäre: Man habe
leider keine Telefonnummer in Belgien. Die Koordination einer
Solidaritätsaktion sei daher nicht möglich.
Daraufhin haben einige Kölner KollegInnen selbst die Initiative
ergriffen und sind zu einem Solidaritätsbesuch nach Genk gefahren. Dort
wurden sie mit offenen Armen empfangen. Aus dem Treffen entstand die
Idee einer Aktion der Genker Beschäftigten während der Sitzung des
Europäischen Betriebsrats in der Europazentrale in Köln. Die Forderung
der Genker Kollegen: Verteilung der Produktion von Ford auf alle
europäischen Standorte statt Schließung des Genker Werks.
Am 7. November brachen etwa 250 Genker Autobauer in 5 Bussen nach
Köln auf. Sie betraten das Werksgelände, gingen zu Gebäude A und
forderten dort den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Hinkelmann zu einem
Gespräch auf. Statt die BesucherInnen mit offenen Armen zu empfangen und
zu unterstützen, versuchte dieser die Kollegen mit Verweis auf die von
ihnen in Genk geplante Demonstration am folgenden Sonntag zu
beschwichtigen. Viele der Zuhörer beantworteten Hinkelmanns Rede mit
Buh- und Zwischenrufen.
Amoklauf der Polizei
Was dann folgte, verschlug vielen die Sprache: Als die Genker
KollegInnen das Werksgelände nach einer kurzen Besetzungsaktion
verließen, wurden sie von einem massiven Polizeiaufgebot aus mehreren
Hundertschaften angegriffen und eingekesselt. 120 Streifenwagen und ein
Hubschrauber wurden gegen die protestierenden ArbeiterInnen eingesetzt.
Offensichtlich zum Zwecke einer späteren Strafverfolgung fertigte die
Polizei jeden einzelnen im Polizeikessel festgehaltenen Arbeiter mit
Personalienkontrolle, Fotografien, Taschen- und Körperkontrollen ab.
Nicht wenige KollegInnen fühlten sich an die faschistische deutsche
Besetzung Belgiens während des Zweiten Weltkriegs erinnert. In einem
empörten Redebeitrag mit dem Megaphon wurde deutlich, dass die
anwesenden Beschäftigten, das verantwortliche Managment bei Ford
Bernhard Matthes (aus Köln), Phelipe Verbeek (aus Genk) und Stephen
Odell (für ganz Europa) für die wahren Verbrecher halten: “Sie und nicht
wir sollten kriminalisiert werden!”
Parallelen zum Ford-Streik 1973
Zeitgleich zum Polizeiangriff wurden Kölner KollegInnen, die sich
solidarisieren wollten, daran gehindert, indem die Werkshallen
geschlossen und sie darin eingesperrt wurden.
Wie wir auf einer Veranstaltung anlässlich des 40sten Jahrestages des
Ford-Streiks von 1973* erfahren haben, liegen diesem Agieren
Notfallpläne gegen Arbeiterunruhen bei Ford zugrunde, die ein
abgestimmtes Handeln von Werksschutz, Polizei, Geschäftsleitung,
Gewerkschaft und Medien im Fall von Protesten vorsehen.
Wie schon damals beim Ford-Streik, als innerhalb und außerhalb des
Werks rassistische Pogrom-Stimmungen gegen den „Türken-Terror“ geschürt
wurden, haben die Kölner Medien am 7. und 8. November gegen den
„Aufstand bei Ford“ (Express) gehetzt.
Auf sich allein gestellt sterben oder gemeinsam kämpfen?
Die Autoindustrie ist heute hochmonopolisiert und der Konkurrenzkampf
zwischen den Autobauern hat sich ungemein verschärft. Während VW aus
der weltweiten Wirtschaftskrise gestärkt hervorgegangen ist, ungemein
viel Kapital nach Asien exportiert und den Plan verfolgt,
Weltmarktführer zu werden, hatten Firmen wie Opel/General Motors und
Ford in Europa das Nachsehen und wollen sich jetzt auf Kosten der
Beschäftigten gesund sanieren.
In einer Zeit, in der die Industrieproduktion in globalen
Produktionsketten organisiert ist, funktioniert das für die
kapitalistischen Firmen nur, wenn sie es verstehen, ihre Beschäftigten
„im Griff“ zu behalten.
Mit diesem Ziel werden verschiedenste Methoden eingesetzt, um die
Belegschaften zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Beispielsweise
durch die Spaltung in Stamm- und Leihbelegschaften, die den deutschen
Konzernen während der Krise „gute Dienste“ geleistet hat.
Ein weiteres Mittel ist der Standort-Chauvinismus, an dem sich gerade
Gewerkschaften wie die IG Metall beteiligen: Im Fall von Opel schoss
der Bochumer Betriebsratschef Einenkel im Jahr 2010 zunächst gegen den
Standort Antwerpen („Das belgische Werk dürfe nicht auf Bochums Kosten
gerettet werden.“, WAZ vom 7.4.10). Jetzt, da Antwerpen dicht ist, soll
es Bochum an den Kragen gehen.
Die Produktion der Fahrzeuge Ford Mondeo, S-Max und Galaxy soll nach
den Plänen von Ford nach der Schließung von Genk ins spanische Valencia
gehen. Von dort soll die Fertigung des C-Max und Grand C-Max ins
saarländische Saarlouis verlagert werden. Die deutschen Belegschaften
sollen damit vorübergehend in Sicherheit gewiegt werden – nach dem
Motto: „Das Gewitter ist nochmal an uns vorbeigezogen.“ Das Beispiel
Opel zeigt aber: Selbst wenn hier vorübergehend ein paar Jobs erhalten
bleiben, weil eine Belegschaft mehr Zugeständnisse macht als die
anderen, hält das die Gesamtbewegung nicht auf, die am Ende alle in die
Arbeitslosigkeit reisst.
Als Beschäftigte können wir uns überlegen, ob wir uns auf diese Logik
einlassen und einer nach dem anderen auf sich allein gestellt stirbt.
Oder ob wir uns zusammentun und eigenständig Kämpfe führen, die über
Standort-, Konzern- und Ländergrenzen hinausgehen und sich nicht an den
vorgeschriebenen „Dienstweg“ halten.
Die Aktion der Genker Kollegen hat vorgemacht, wie das gehen kann. Lassen wir sie jetzt also nicht allein!
Solidarität ist notwendig
Durch die Ermittlungsverfahren wird jeder, der gegen die Vernichtung
seines Arbeitsplatzes kämpft, mit strafrechtlicher Verfolgung bedroht
(denken wir nur an Nokia Bochum, Schlecker, TSTG Duisburg, Opel Bochum,
Siemens, Outokumpu u.v.m.). Die Kriminalisierung der Aktion der Genker
KollegInnen und ihrer UnterstützerInnen ist daher ein Angriff auf jeden,
der in Deutschland einer Lohnarbeit nachgeht.
Neben dem drohenden hohen Strafmaß könnte Ford mögliche
Verurteilungen außerdem zum Anlass nehmen, um die Beschäftigten zu
kündigen.
Deshalb haben wir einen Solidaritätskreis ins Leben gerufen, um die
KollegInnen zu unterstützen. Wir bekräftigen die Ansage der
eingekesselten KollegInnen vom 7. November: Das wahre Verbrechen besteht
darin, Fabriken und Firmen zu schließen, tausende Menschen auf die
Straße zu setzen und ihnen ihre Existenz zu rauben. Der Widerstand gegen
Arbeitsplatzvernichtung ist voll und ganz gerechtfertigt. Wir lassen
uns nicht vorschreiben, wie wir für unsere Arbeitsplätze zu kämpfen
haben.
Wir rufen Kolleginnen und Kollegen und alle Interessierten –
unabhängig von Weltanschauung, Parteibuch oder
Gewerkschaftsmitgliedschaft – dazu auf, sich zu solidarisieren!
Schickt uns Solidaritätsadressen! Informiert Euch auf unserer Webseite!
Wir fordern die sofortige Einstellung aller Ermittlungsverfahren!
Der Widerstand gegen Massenentlassungen ist legitim!
Für internationale Klassensolidarität statt Standortlogik!
E-Mail: solikreis0711@gmail.com
Spendenkonto: Klaus Dillmann, Postbank Saarbrücken, BLZ 590 100 66, Kto. 098 858 0668, Stichwort: “7. November”